OSTERBRIEF AN DIE BRÜDER IN ALLER WELT
VON OFFENEN GRÄBERN ZU NEUEN WEGEN DER HOFFNUNG
„Du, der du mich viel Mühsal und Unglück hast sehen lassen, wirst mich wieder aufrichten; aus den Tiefen der Erde wirst du mich wieder heraufführen.“ (Ps 71,20)
„Ihr, die ihr im Staub wohnt, wacht auf und singt vor Freude! Denn dein Tau ist ein Tau des Lichts, und die Erde wird die Toten gebären.“ (Jes 26,19)
„Und viele von denen, die im Staub der Erde schlafen, werden erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zu Schande und ewiger Verachtung.“ (Daniel 12,2)
„Wir sind ein Ostervolk“, wie es Kardinal Luis Antonio Tagle in einem seiner Bücher ausdrückt. Die österliche Realität erinnert uns daran, dass es inmitten all der Gewalt eine viel größere Realität des Friedens in unserer heutigen Welt gibt. Dabei handelt es sich nicht um eine Zauberformel, sondern um ein sich erweiterndes und vertieftes Bewusstsein, das aus den Tiefen der Erde entspringt und in jede Realität unserer Welt überfließt. Der Weg zu dieser österlichen Realität führt über die Betrachtung der Menschheit und der Welt durch die Linse Gottes, der Jesus von den Toten auferweckt hat. In Gott wird das ganze Universum mit der Freude des neuen Lebens im auferstandenen Christus geboren, trotz allem, was versucht, dieses Leben zu beeinträchtigen. Wir wachsen weiter als Menschen der Hoffnung, als reife Kinder des Lichts, auch wenn Tod und Dunkelheit heute die vorherrschende Wirklichkeit zu sein scheinen. Wir sind weiterhin Botschafter der Hoffnung inmitten von Krieg und Gewalt in der Ukraine, Myanmar, Haiti, Afghanistan, inmitten von Armut und Ungleichheit in den Ländern Afrikas und Asiens, inmitten von ökologischer Zerstörung, die die ärmeren Teile eines Landes schwer trifft, inmitten von wirtschaftlichen Kernschmelzen, von politischen Rivalitäten, von der Pandemie, die v.a. die Schwachen und Armen auf der ganzen Welt schwer trifft. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Die Hoffnung auf das neue Leben im auferstandenen Christus ist ein Gegenmittel zu den vorherrschenden problematischen Haltungen von heute – dem Wunschdenken als Weg der Realitätsverleugnung und der – flucht, der Verstrickung in unsere dunkle Realität, die uns zu Gefangenen der Finsternis und der völligen Hilflosigkeit macht, oder der Haltung, alles zu tun, um zu überleben, und dabei nur an unser eigenes privates Wohl zu denken, ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl und die Sorge um unser gemeinsames Haus.
Die Hoffnung ist keine Flucht, sondern ein Durchschreiten des dunklen Tunnels der Wirklichkeit mit einem Sprung des Vertrauens hin auf den Geber des Lebens und des Lichts, auf den Gott, der immer vor uns und hinter uns ist. Hoffnung ist eine liebevolle Hingabe an die Wahrheit, dass der Tod nicht das letzte Wort über alles hat, auch wenn das Böse die Oberhand zu haben scheint. Die Herausforderung der Hoffnung besteht heute darin, Bruderschaften der Hoffnung aufzubauen, also Menschen zu sammeln, die sich gemeinsam auf den Weg machen, sich gegenseitig annehmen, einander mit Respekt zuhören und erkennen, wo die Menschheit Teil des Problems geworden ist, anstatt Teil der Lösung für die Probleme unserer Welt. Als Menschen der Hoffnung gehen wir als Brüder und Schwestern gemeinsam auf die Verwirklichung von Gottes Traum für unsere heutige Welt im auferstandenen Christus zu. Einzelne Anstrengungen können nur wenig bewirken. Unsere heutige Welt sehnt sich nach einer neuen Weltordnung, die von allen geteilt wird und in der Osterbotschaft der Hoffnung gründet.
Aber das Wichtigste zuerst. Lassen Sie uns zunächst gemeinsam erkennen, wo die Gräber unserer Welt sind, die Gott im auferstandenen Christus mit uns und durch uns zu öffnen bereit ist. Offener Krieg, Armut, Umweltzerstörung, Migration und globale Spaltung sind Symptome eines bösen Willens, der in den Gräbern der menschlichen Herzen begraben ist. Gier, Gleichgültigkeit, Gewalt, Groll und Hass sind Begleiterscheinungen menschlicher Veranlagungen, die auf Missachtung, Misstrauen, Werteverfälschung und Blindheit für das Gute beruhen. Diese Veranlagungen werden zu geistigen Haltungen, die Strukturen der Gewalt, der Ungerechtigkeit und des Machtmissbrauchs schüren, die den Verstand vernebeln und das Herz des Einzelnen betäuben. Gemeinsam wird daraus eine Kultur, in der die Unwahrheit zur Wahrheit und die Dunkelheit zum Licht wird. Die Hoffnung wurzelt in der festen Überzeugung, dass Gott allein im auferstandenen Christus unsere Gräber öffnen und unseren bösen Willen in einen guten Willen verwandeln kann. Uns selbst überlassen, sind wir zu blind, verwundet, gebrochen und hilflos.
Und so hoffen wir gemeinsam als Brüder und Schwestern, die auf dem Weg sind. Ausgehend von unseren örtlichen Gemeinschaften, getreu unserer spirituellen Praxis der Lebensbetrachtung, des Wüstentags, der Anbetung und der Bruderschaftstreffen, schenken wir unserer Welt heute Hoffnung – Tag für Tag. Wir führen einen Dialog und erkennen gemeinsam, wohin der Geist uns führt – persönlich, gemeinschaftlich, weltweit. Keiner steht allein. Jedes persönliche Zuhören ist ein globales Zuhören. Aber der aktive Teil kommt hauptsächlich von Gott im auferstandenen Christus. Unsere Aufgabe ist es, tief zuzuhören und an Gottes rettendem und sogar heilendem Wirken in unserer schönen Welt mitzuwirken. Die Tätigkeit der Hoffnung gründet sich auf Jesu Gabe der Passion (vom lateinischen Wort passio, das Nicht-Tätigkeit bedeutet). Jesus rettet die Welt in erster Linie durch seine Ohnmacht am Kreuz, und nicht durch seine Tätigkeit des Heilens und Predigens.
Wenn wir uns geschlagen, missverstanden, gedemütigt, nicht unter Kontrolle und misshandelt fühlen, wenn wir anderen Liebe und Güte anbieten, erleben wir unsere Leidenschaft als Liebende der Menschheit. Hier und nur hier sind wir eingeladen, uns eine wichtige Frage zu stellen: Wie werden wir auf das Böse reagieren? Was für ein Herz wollen wir den Tätern des Bösen anbieten? Welche Art von Leben sind wir bereit, unserer heutigen Welt zu schenken? Unversöhnlich oder vergebend? Wütend oder nüchtern? Nachtragend oder liebevoll? Erst als Jesus der Menschheit, die sein Angebot der Liebe ablehnt, aus freien Stücken seine Vergebung anbot, schenkte ihm der Vater das neue Leben.
Wir sind eingeladen, Boten dieses neuen Lebens für unsere verwundete, gewalttätige und zersplitterte Welt zu sein. Wir tragen beides in uns: sowohl unsere Freuden als auch unsere Sorgen, unsere Gleichgültigkeit und unsere Fürsorge, unsere Ängste und unseren guten Willen. Mit allem wollen wir uns senden lassen. Charles de Foucauld möge uns weiterhin in unserem Wunsch inspirieren und begleiten, das Evangelium mit unserem Leben zu verkünden.
Möge seine Heiligsprechung ein Anstoß für unsere Kirche sein, sich heute als Bruder und Schwester für alle zu verstehen, als Missionarin an den Peripherien, als Prophetin des Dialogs und als Beschützerin der Schöpfung, unseres gemeinsamen Hauses.
Eric Lozada
PDF: 22-04-17, Osterbrief 2022, dt., Eric LozadaEric Lozada, Otserbrief