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Monat: März 2020
Stimme der Stimmlosen – Nachruf auf Mariano PUGA
(Berlin, 17. März 2020, npla).- „Mariano, Chiles Priester ist auferstanden!” heißt es in der Pressemitteilung der Gemeinde La Minga vom 14. März 2020. Er, der „sein Leben der armen und unterdrückten Bevölkerung widmete“, sei nun auf direktem Weg um Christi zu treffen. Ein Geistlicher und Menschenrechtler wie Mariano Puga Concha stirbt nicht einfach. Jenseits aller Gretchenfragen lebt der Arbeiterpriester weiter – in der Erinnerung und den Herzen vieler.
Arbeiterpriester, so bezeichnete sich Puga am liebsten. Dabei ist ihm bei seiner Geburt 1931 eigentlich ein arbeitsfernes, privilegiertes Leben in die Wiege gelegt worden. Als Nachfahre des letzten spanischen Gouverneurs von Chile, Sohn eines Senators und einer schwer reichen Winzertochter folgt seine Ausbildung an der Militärschule und Studien an der Katholischen Universität zunächst dem Protokoll der konservativen Eliten. Ein strenggläubiger Verwandter habe ihn dann irgendwann gefragt: „Warum lässt du dich nicht bekehren Junge?“, erinnert sich Puga in einem Zeitzeugeninterview. „Und ich fragte: ‚Was muss ich dafür tun?‘ Darauf er: ‚Das Evangelium lesen und es ernst nehmen.‘“ So geht Puga als Seminarist nach Frankreich und wird 1959 in der Bretagne zum Priester geweiht.
Puga hängt den Altar mit Betttüchern ab und predigt auf Spanisch
Die Katholische Kirche sucht in dieser Zeit nach einem Weg sich zu erneuern, denn ihr politischer Einfluss schwindet und auf drängende soziale Fragen gibt das lateinische Gemurmel von der Kanzel kaum Antworten. Die Arbeiterbewegung erhält damals in Lateinamerika starken Zulauf, die Kubanische Revolution verspricht das Paradies auf Erden. Noch in Paris beschäftigt sich Puga intensiv mit der Frage, wie die verstaubten Gottesdienste wieder sinnstiftender für die Gläubigen werden könnten und setzt seine Ideen in Chile schnell in die Praxis um. In der Pfarrkirche der Katholischen Universität von Santiago beginnt er vor jeder Messe den Altar mit Betttüchern abzuhängen und predigt auf Spanisch. Kardenal Raul Silva Henríquez bestellt Puga wegen Verstößen gegen die damals gültige (und erst 1962 refomierte) Liturgie ein, aber als er hört, dass über 600 Menschen zu seinen Gottesdiensten kommen, ermutigt er Puga weiterzumachen.
Die anfängliche Unterstützung endet abrupt, als Puga bei einem erneuten Frankreichaufenthalt eine Messe zu Ehren der 1970 gewählten chilenischen Regierung abhält. Vor dem versammelten diplomatischen Corps preist der den Weg zum Sozialismus: „In Chile werden die Hungrigen nicht länger ausgeschlossen, denn die neue Regierung will eine Regierung für die Ausgeschlossenen sein. Was werden die kapitalistischen Regierungen [anderer Länder] dazu sagen?“ Damit besiegelt er sein Karriereende: „Kardinal Silva enthob mich all meiner Ämter im Seminar. Es war vorbei.“
Gründung der „Christen für den Sozialismus“
Um so eifriger wirkt Puga nun an der Basis als selbsternannter Arbeiterpriester. Zunächst lebt und predigt in den Bergbausiedlungen rings um die Kupfermine Chuquicamata, später wirkt er in den Armensiedlungen und urbanen Landbesetzungen Santiagos. Die Kirchenoberen sehen dieses politisch-theologische Experiment mit Misstrauen, denn Puga ist längst nicht der einzige. 1971 beschließen 80 Geistliche auf einem Treffen, sich als Christen aktiv am Aufbau des Sozialismus zu beteiligen. Gemeinsam beginnen sie unter dem Einfluss von Befreiungstheologen wie dem Argentinier Hugo Assmann gleichermaßen die Dogmen klerikaler Antimarxisten und antiklerikaler Revolutionäre zu kritisieren.
Die Presse tauft die engagierten Geistlichen bald „Christen für den Sozialismus“ und als solche unterhalten sie bis zum Mulitärputsch 1973 ein eigenes Büro in Chile. Sie wirken mit Veröffentlichungen in die öffentliche Debatte, versuchen sich als Vermittler zwischen linken Parteien und konservativen Christdemokraten und entwickeln mit der „Götzenkritik“ eine eigene Lesart der marxistischen Fetischtheorie. Puga interessiert jedoch vor allem die gelebt Praxis des Evangeliums, das immer bei den Ärmsten der Gesellschaft beginnen müsse. So mischt er sich politisch ein, hält jedoch Distanz zu den sozialistischen Propheten dieser Tage: „Ich glaubte an die Kubanische Revolution. Aber ich war nie ein Fan von Fidel Castro“, erinnert sich Puga im Januar 2020 im Interview. „Ich habe Allende gelesen, ich bewunderte ihn für seine Beharrlichkeit, für die Stärke seiner Überzeugungen, aber ich war auch ein wenig kritisch gegenüber der Art und Weise, wie er seine sozialistische Erfahrung lebte. Was mich begeisterte, war, wie die Bevölkerung auf die Idee des Sozialismus reagierte, was die Menschen schufen und organisierten. Wie sie dieses System, dass Millionen von der Geschichte unseres Landes ausschloss, stürzten.“
Puga als Kritiker – auch in Zeiten der Diktatur
Doch mit dem Militärputsch am 11. September 1973 endet der Erneuerungsprozess der chilenischen Kirche abrupt. Die „Christen für den Sozialismus“ werden von Kardinal Silva – später ein aktiver Kritiker der Diktatur – für vogelfrei erklärt. Priester werden verfolgt, gefoltert, die Ausländer unter ihnen abgeschoben. Puga setzt seine Arbeit in den Vierteln La Legua und Villa Francia fort, organisiert sich mit anderen Priestern in den Armensiedlungen, um Verfolgte zu verstecken. Er ist aktiv im Komitee Pro Paz und der daraus hervorgehenden Vicaria de la Solidaridad, einer katholischen Organisation, die Opfer der militärisch-zivilen Diktatur und ihre Angehörigen unterstützt.
Auch in den finstersten Tagen der Diktatur scheut Puga nicht vor öffentlicher Kritik zurück. Auf Einladung eines befreundeten Priesters spricht er einmal während des Gottesdienst in „der Kirche der Reichen“, wie Puga die Iglesia Santo Toribio im gut situierten Stadtteil Las Condes stets nannte. Er beginnt seine Rede mit den Worten „Der gute Hirte gibt das Leben für die Herde, der schlechte rennt los, wenn er den Wolf kommen sieht.“ Viel weiter kommt er nicht, ein Tumult bricht aus. Puga wird ins Folterzentrum Villa Grimaldi verschleppt. Wieder auf freiem Fuß arbeitet er unbeirrt weiter mit seiner Gemeinde La Minga.
Andenken an Mariano Puga
Nach seinem Tod am 14. März 2020 wird an Puga von Alicia Lira, Sprecherin des Angehörigenbündnis von Opfern der Diktatur, als „Stimme der Stimmlosen” gewürdigt. Auch viele Bewohner*innen und Gemeindemitglieder ehren öffentlich sein Engagement für Gerechtigkeit und seine Kritik an den herrschenden Umständen. In der chilenischen Presse wird jedoch kaum an diesen politischen Puga erinnert, die bürgerliche Zeitung La Tercera bemüht lieber Metaphern wie „Seelenmaurer“ oder „Apostel der Gewaltlosigkeit“. Dabei war Mariano Pugo bis zuletzt ein kompromissloser Fürsprecher der aktuellen sozialen Proteste. Im Oktober schreibt er in einem offenen Brief in der chilenischen Wochenzeitung The Clinic: „Wir sind eine Diktatur und Gefangene von Pinochet, Gefangene unserer selbst, unserer eigenen Gefängnisse, unseres eigenen Hasses. […] Diese Menschen haben das Recht, alles zu zerstören, weil ihnen alles zerstört wurde.“
So gedenkt seine Gemeinde La Minga im Stadtteil Villa Francia am 15. März dem Abschied Mariano Pugas nicht mit Blick auf die vergangenen Kämpfe, sondern feiert ihn mit einer „offenen Umarmung der Revolution”.
Das vollständige Zeitzeugeninterview, das Allendes Internationale mit Mariana Pugo im Januar 2020 führte, findet ihr unter: https://vimeo.com/395290715 (mit deutschen Untertiteln)
(Español) Homilía en la Pascua de Mariano PUGA. Juan BARRAZA
Brief von Eric. Unser Bruder Mariano PUGA
16. März 2020
Nun werde ich nicht mehr sehen den HERRN, ja, den HERRN im Lande der Lebendigen; nun werde ich nicht mehr schauen die Menschen bei denen, die ihre Zeit leben.
Meine Zeit ist dahin und von mir weggetan wie eines Hirten Hütte. Ich reiße mein Leben ab wie ein Weber; er bricht mich ab wie einen dünnen Faden. (Is 38, 11-12)
“Es gibt so etwas wie einen guten Tod. Wir sind selbst verantwortlich dafür, wie wir sterben. Unsere Wahl besteht darin, uns entweder derart an das Leben zu klammern, dass unser Tod immer nur wie ein Versagen wirken kann, oder unser Leben frei herzugeben, so dass wir anderen als Quelle der Hoffnung gegeben werden können. “ (Henri Nouwen, Du bist der geliebte Mensch).
Geliebte Brüder,
ich bin zutiefst dankbar für das Geschenk und traurig über den Verlust und kündige den Tod unseres großen Bruders, lieben Freundes und lebenden Symbols unserer Bruderschaft, MARIANO PUGA CONCHA aus Santiago, Chile, an. Er starb am 14. März 2020 im Alter von 88 Jahren. An Lymphkrebs gestorben.
Lasst mich die Seelenverwandtschaft, die wir mit Mariano hatten, mit den folgenden Zeilen ehren. Mein erstes Treffen mit ihm fand 2000 auf der Generalversammlung in Kairo statt. Vor seiner Wahl zum Generalverantwortlichen war seine Anwesenheit auf der Versammlung wie ein Virus, der uns mit Freude und Lachen mit seinem köstlichen Gesang, begleitet von einem Akkordeon, verseuchte. Ich wusste nicht, dass diese Lieder aus den Slums von Santiago stammen. sehr gemütlich und mächtig und nie depressiv. Er war wie ein Troubadour, der mit Lunge und Herz die Träume und Sehnsüchte seines Volkes aus Santiago sang. Sein ungestümer Geist und seine Musik voller Freude faszinierten mich.
Mein zweites Treffen fand 2002 in den Vereinigten Staaten statt. Er besuchte die Bruderschaft in den Vereinigten Staaten, während ich in meinem Auslandsjahr war. Der verstorbene Howard Caulkins, ein weiterer lieber Freund, schlug mir vor, dass er mich zur Mepkin Abbey bringen würde, wenn ich mit ihm zur Landversammlung nach Minnesota gehen würde, wo ich mein Auslandsjahr als Klostergast verbringen würde. Tatsächlich reisten wir zusammen und dort traf ich Mariano wieder. Wir verbinden uns sehr leicht von Seele zu Seele auf eine zutiefst persönliche und intime Weise. Ich teilte mit ihm meine Krise mit der Kirche, mit meinen persönlichen Dämonen und mit Gott und ich habe mich noch nie so zugehört gefühlt. Er umarmte mich nur fest wie ein älterer Bruder, der einen jüngeren Bruder tröstet, mit Tränen in den Augen und fühlte meinen Schmerz. Dann lächelte er mich mit diesen ruhigen Worten an: „Alles wird gut.“ Wir trennten uns von dem Versprechen, einander im Gebet präsent zu halten, ich für die Abtei und er für Tammanraset.
Mein letztes Treffen mit ihm war letztes Jahr in Cebu während der Generalversammlung. Mit 88 Jahren war das Reisen um den Globus schwer für ihn. Er wurde zweimal ins Krankenhaus eingeliefert und beide Male war ich bei ihm. Seine Weisheit rief mich dazu auf, aus dem Grab meiner Ansprüche herauszukommen und persönliche Erlebnisse miteinander auszutauschen. Wir verbinden uns leicht wieder, Bruder zu Bruder, und bewerten jede unserer Geschichten in der Notaufnahme (wo er 5 Stunden verbracht hat) und dann in seinem Zimmer (dem er vehement widerstand, weil er mit armen Leuten im Gemeinschaftsraum sein wollte ). Dann flüsterte er mir mit einem Lächeln im Gesicht zu: „Die Versammlung ist vorbei und ich könnte jetzt nach Hause gehen.“ Ich kam in dieser Nacht nach Hause, sehr demütig, aber sehr bereichert durch diesen bewegenden Austausch, unseren Rückblick auf das Leben, der für Mariano das Herzstück jeder Versammlung von Brüdern ist.
Lassen Sie mich auch einige Zeilen teilen, die mir Fernando Tapia über Mariano schrieb: „Mariano war ein leidenschaftlicher Sucher Gottes und ein Jünger von Jesus von Nazareth. Seine Begegnung mit ihm durch die Armen in einer Müllkippe veränderte sein Leben für immer. Er verließ alles und betrat das Seminar. Hier fand er Charles de Foucauld und folgte seiner Spiritualität bis zum Ende seines Lebens. Er war geistlicher Vater und Ausbilder am Seminar von Santiago. Später wurde er mehr als 30 Jahre lang Arbeitspriester und teilte das Leben der Armen. Er lebte immer unter ihnen. Er war ihr Pastor, ihr Verteidiger während der Zeit der Militärdiktatur von Pinochet. Er war sieben Mal im Gefängnis. Er förderte eine Kirche, die den Armen verpflichtet war. Er predigte viele Exerzitien in Chile und außerhalb Chiles. Er war ein Mann des Gebets, glücklich, nah an allen, ein Freund von Gläubigen und Ungläubigen, ein Missionar am Rande der chilenischen Gesellschaft, der in die Fußstapfen von Bruder Charles trat. Sein Leitbild war das Evangelium, das er mit seinem eigenen Leben herausschreien wollte. „
Mariano, Bruder, Freund, vielen Dank. Vielen Dank für dein verrücktes Zeugnis eines verrückten Gottes in Jesus von Nazareth. Ich teile die Dankbarkeit und Trauer der Armen von Santiago, die du mit deinem Zeugnis berührt hast. Möge Jesus, der gute Hirte, dich für immer in deinem neuen Zuhause empfangen, das er für diejenigen vorbereitet, die treu sind.
Brüder, ich bete mit Mariano, dass wir bei unseren Treffen und Versammlungen weiterhin das Risiko eingehen, unsere Armut und Verletzlichkeit miteinander zu teilen. Es ist unsere Armut, die uns verbindet, qualifiziert und uns als Brüder in der Brüderlichkeit befreit. Es ist auch das Sprungbrett für unsere Mission unter den Armen, wie wir in Cebu sagten. Lasst uns auch unsere bescheidene, aber feste Entschlossenheit sein, das Missionsleben Jesu von Nazareth mit den Armen zu teilen und in die Fußstapfen von Bruder Charles zu treten.
Mit meiner brüderlichen Umarmung,
Eric LOZADA
(Übersetzung von Ursula CRAMER)